Wien: Diversity with a focus on gender and culture

von Inga Feldmann

Sonntag, 17. April 2022, Kiel

Am Ostersonntag stand ich gut gelaunt am Kieler Bahnhof um nachhaltig nach Wien zu reisen.

Doch schon kurz vor Neumünster endete mein Traum. Der Zug hatte in Wagen 1 eine defekte Tür, die uns immer wieder außerplanmäßig anhalten ließ. Als wir Hamburg erreichten, war klar, dass mein Zug nach Wien leider nicht warten konnte und es auch keine Möglichkeit mehr gab, Wien innerhalb eines Tages zu erreichen. Ich stieg in die U- und S-Bahn zum Airport Hamburg und merkte, wie meine Komfortzone schrumpfte… Ich schaffte es so tatsächlich doch noch mit dem Flieger nach Wien!

Montag, 18. April 2022, Wien
Sachertorte zum Frühstück!

Ich laufe zu Fuß an dem sehr ruhigen Ostermontag Morgen über das Universitätsgelände zu unserem Seminarort und treffe dort auf 7 Teilnehmende aus Litauen, 2 Portugiesinnen und eine Spanierin.

Die Kommunikation ist eingeschränkt, da nur 4 von den Teilnehmenden Englisch beherrschen- aber dank einer App wird alles einigermaßen übersetzt. Das Seminarthema wurde kurzerhand um das Thema Mindfulness erweitert, da sonst die beiden Portugiesinnen keine Gruppe gehabt hätten. Auch interessant! Wir machen Kennenlernspiele, gestalten Plakate und kommen ins Gespräch miteinander.

Die Leiterinnen versprechen uns eine Reise in dieser Woche -zu uns selbst und zur Entschleunigung.

Anhand des Modells der Komfortzone / Lernzone / Panikzone erklären Sie, wie wichtig es ist für uns und unsere Schüler*innen regelmäßig die Komfortzone zu verlassen, damit alle weiter lernen.

Auch der Kolb Lernzyklus wird erläutert, der Kreislauf in dem vier Schritte, Konkrete Erfahrung (1), Beobachtung und Reflexion (2), Abstrakte Begriffsbildung (3) und Aktives Experimentieren (4), verbunden werden. Anschließend geht es um das Thema Präsenz und die Frage, wie wir wieder so wie Kinder mit einer freundlichen Neugierde auf die Welt schauen könnten und mehr mit der Aufmerksamkeit im Jetzt sein können. Anhand eines einfachen Modells wird erklärt, wie unser Gehirn funktioniert.

Anhand der Compassion Focused Therapy (CFT), von Prof. Paul Gilbert in England entwickelt, wird uns ein Modell erläutert, wie wir funktionieren. Wir leben ganz oft im Bedrohungssystem, haben Ärger, Angst, Stress- es geht darum, Bedrohungen zu erkennen und abzuwehren, der Körper reagiert mit Adrenalin und Kortisol. Ein weiteres System in dem wir leben ist das Anreizsystem, wir wollen etwas erreichen, besonders gut sein, sind zielstrebig, Dopamin wird ausgestoßen. Die meisten von uns haben jedoch ein unterentwickeltes Fürsorgesystem, in diesem geht es um Zufriedenheit, Schutz, Vertrauen, Zuwendung, Sicherheit- Dinge tun, die gut für uns sind. Es geht darum, Scham und Selbstkritik zu lindern und Mitgefühl für sich selbst und andere hervorzubringen. Dieses ist eine wichtige Basis, um Vielfalt zulassen zu können.

Es geht darum, weniger zu verurteilen und sich zu öffnen. Wir sammeln alle Begriffe, die uns zum Thema Diversity einfallen.

Irene Rojnik fasst diese erläuternd noch einmal zusammen. Und ich fahre mit der U Bahn zum Stephansdom und lausche der Orgel und lasse mich durch die Stadt treiben und nehme die Vielfalt der Menschen wahr.

Dienstag, 19. April 2022, Wien

Heute Morgen ist Wien laut- die Feiertage sind vorbei, die Stadt pulsiert wieder.

Im Seminar soll es um persönliche Werte, die Werte der Organisation, Annahmen und die nicht wertende Beobachtung der Umgebung gehen.

Zunächst sollen wir uns vorstellen, wir wären ein Baum – mir fällt gleich eine Eiche ein – stark, groß, mit vielen Ästen und Futter für Tiere im Herbst. Tja, das hat natürlich eine Bedeutung: die Eigenschaften des Baumes sind Werte, die wir eventuell haben.

Wir sammeln individuell die Top 10 unserer Werte. Es wird anschließend analysiert, dass einige Werte eher Ziele sind, beispielsweise Erfolg und andere Werte eher Bedürfnisse, die für alle Menschen fundamental sind, wie z.B. Sicherheit. Wir sollen uns unser Leben rückblickend vorstellen und überlegen, welche Werte wirklich wichtig für uns waren. Die Frage, ob es Momente in unserem Leben gab, in denen wir nicht im Einklang mit unseren Werten leben konnten, berührt viele Teilnehmende. Man soll sich überlegen, welche äußeren Hindernisse es gab und welche inneren, die einen daran gehindert haben.

Es gibt wieder den Aufruf, freundlich zu sich zu sein und zu trainieren, sich gutes zu tun.

Nun geht es um die Werte der Organisation. 4 Teilnehmende sollen gemeinsam die 9 wichtigsten Werte festlegen, dies ist nicht so einfach, da die Organisationen sehr unterschiedlich sind und auch die Verständigung auf Englisch schwierig ist. Wir versuchen es und erzählen uns auch Geschichten, wie diese Werte in unserer Organisation gelebt werden. In Litauen gibt es beispielsweise eine Woche gegen Mobbing und für Toleranz.

Am Nachmittag geht es um Annahmen. Das Modell: „Ich sehe, ich denke, ich frage mich“ wird vorgestellt. In der Regel sehen wir und aufgrund unserer Erfahrungen interpretieren wir schnell und sind nicht wirklich im Jetzt. Wir üben unsere Wahrnehmung, indem wir verschiedene Orte aufsuchen. Ich gehe mit Monika zum Hof der Universität. Dort sehen wir viele Büsten von Männern und eine von einer Frau. Wir sollen üben, uns neugierig Fragen zu stellen- beispielsweise: was hat die eine Frau geleistet, die in der Galerie der Männer steht?

Nach dem Seminar genehmige ich mir im Caféhaus eine Melange und eine Cremeschnitte und – da es regnet und kalt ist – verziehe ich mich ins Kino und sehe den Film „Parallele Mütter“ von Pedro Almodovar.

Mittwoch, 20. April 2022, Wien

Heute startet unser Seminar an einem neuen Ort mit dem Thema Gender.

Zunächst werden die Begriffe Sex und Gender geklärt: Sex bezieht sich auf das biologische Geschlecht, welches man von außen sieht. Die äußerlichen Merkmale, die nur durch eine Operation zu verändern sind.

Der Begriff Gender dagegen beinhaltet das soziale Geschlecht, was uns anerzogen wurde- dieses ist veränderbar.

Gender Mainstreaming meint in dem Zusammenhang, dieses Thema in die Organisation einzubringen auf allen Ebenen. Gender sensible Pädagogik kann auch beinhalten, Mädchen positiv zu diskriminieren, in dem sie in bestimmten Bereichen besonders gefördert werden.

Frauen tendieren dazu, die Führungspositionen Männern zu überlassen. Daher sollten sie schon als Kind ermutigt werden, ihre Stärke zu erleben.

Bezogen auf meine vhs überlege ich, inwiefern sich alle angesprochen fühlen. Dies ist ausbaufähig, die Hauptgruppe der Teilnehmenden ist weiß, weiblich, deutsch und 50+

Wir sammeln Eigenschaften die wir Männern/ Frauen zuschreiben – die Sammlung gerät dann doch sehr stereotyp: die Männer sind stark, mutig, die Frauen sozial und schwach. Die Kursleitung stellt dies zum Glück in Frage. Anschließend beantworten wir sehr persönliche Fragen, um unserer Sozialisation auf die Schliche zu kommen.

Womit habe ich als Kind gespielt? Was hat meine Mutter gemacht, als ich Kind war? Was hat mein Vater gemacht? Warum bin ich gerne eine Frau? Was mag ich nicht daran? Welchen Einfluss hat Dein soziales Geschlecht auf Deine Karriere? Welches Gender Stereotyp würdest Du gerne ändern?

Wir würden gerne alle Stereotypen ändern, beschließt unsere Kleingruppe.

Die Gender Herausforderungen unserer Zeit sind unter anderen:

  • Die unterschiedliche Bezahlung (pay gap)
  • Geschlechtsspezifische Berufe
  • Rollenverteilung in der Familie
  • Elternzeit
  • Altersarmut von Frauen
  • Scheidung/ Alleinerziehende
  • Gewalt gegen Frauen
  • Führung

Wir diskutieren die Möglichkeiten, Männer den sozialen Bereich näher zu bringen – in Österreich gibt es noch die Wehrpflicht oder die Pflicht, einen sozialen Dienst zu absolvieren.

Die Sprachbarriere war heute besonders hoch, da die Sprach-App aufgrund des schwachen Internets nicht funktionierte. Am Nachmittag hatten wir frei – ich nutzte die Gelegenheit, eine 3-stündige Fahrradtour durch Wien zu machen und in der Orangerie einem Konzert zu lauschen – nachdem ich ein wunderbares Wiener Schnitzel gegessen hatte. In der Stadt hängen viele Fahnen zur Solidarität mit der Ukraine und auch bei uns im Kurs ist der Krieg immer wieder Thema; insbesondere die Litauer haben große Angst vor Putins Unberechenbarkeit.

Donnerstag, 21. April 2022, Wien

Heute begann der Tag sonnig, nach einem kurzen Frühstück mit Grazinna aus Litauen starten wir das Seminar heute mit dem Thema Theater der Unterdrückten von Augusto Boal.

Diese Methode wurde in den 1970er Jahren in Brasilien entwickelt, es ging darum, den Menschen eine Stimme zu geben, nachdem dieses viele Jahre unterdrückt worden waren.

Es gab verstecktes Theater auf der Straße, beispielsweise einen Kampf in der Metro, um zu sehen, wie reagieren die Menschen darum herum? In improvisierten Theaterszenen kann ausprobiert werden, einzelne Personen der Szene auszutauschen um zu sehen, wie die Situation dadurch verändert werden kann.

Im Forum Theater gibt es immer ein Opfer und einen Aggressor sowie das Publikum. Die Rollen, die getauscht werden, sind immer die Publikumsrollen.

Wir machen verschieden Aufwärmübungen um uns auf das Spiel vorzubereiten. Führen und Folgen wird geübt und wir bilden Denkmäler zu bestimmten Themen.

Am Nachmittag wird anhand von verschiedenen Konfliktsituationen im Rollenspiel die Methode geübt.

Am Abend bin ich mit Ulrich Chmel, einem Papiertheaterspieler aus Wien in seinem Atelier verabredet.

Er war bereits in Preetz beim Preetzer Papiertheatertreffen mit seiner Bühne und zeigt mir seine neuesten Produktionen.

Anschließend serviert er mir und seiner Frau ein 3 Gänge Menü und gibt mir Wien Tipps!

Und hier noch ein musikalischer Eindruck vom Konzert gestern Abend:

Freitag, 22. April 2022, Wien

Das heutige Seminarthema ist Kommunikation und so beginnt der Tag mit Otto Scharmer und der Theory U. Wir üben ganz praktisch, wirklich zuzuhören ohne nachzufragen. Eine Person spricht 2 Minuten lang, die Zuhörenden versuchen nicht an eigene Geschichten zu denken, nicht zu kommentieren- auch nicht in Gedanken. Anschließend sollen wir eine positive Diversity Erfahrung berichten. Ich berichte von meiner Reise durch Südafrika 1989, bei der ich eine Lehrerin aus Soweto kennengelernt habe. Die zuhörende Person soll hören- mit allen Sinnen. Wir stellen fest, wie wichtig es ist, sich Zeit zum Ankommen zu nehmen, wenn man in wirkliche Kommunikation eintreten möchte.

Die Trainerin erklärt 3 Begriffe von Stimmen in uns, die uns boykottieren:

Die Stimme des Urteilens-

Ich weiß schon, was die Person erzählen wird

Die Stimme des Zynismus-

Ich nehme Dir die Geschichte nicht ab, ich möchte Deine Geschichte nicht hören.

Die Stimme der Angst-

Ich habe Angst, meinen Status/ mein Image zu verlieren, wenn ich beispielsweise weine.

Es ist wichtig, offen zu sein, neugierig, ein offenes, von Mitgefühl durchdrungenes Herz zu haben und mutig zu sein.

Wir schließen das Seminar mit Rückmeldungen und der Zertifikatsübergabe ab und verabschieden uns sehr herzlich mit dem Versprechen, uns gegenseitig zu besuchen.

Ich gehe mit Mireia und Tanja und Sonja in ein Kaffeehaus und genieße eine Melange, bevor es in den Nachtzug nach Hamburg geht.